Lovecraft, Poe und Pinguine

Es ist Oktober, und obwohl ich kein großer Fan von Halloween bin, nutze ich die Gelegenheit, mit etwas Furcht und Schrecken die Herbstsaison einzuleiten. Außerdem muss ich meinen Pile of Shame abbauen. Dieser ist weniger der Stapel ungelesener Bücher, sondern der Stapel gelesener, aber unrezensierter Bücher. Dazu schlagen ich gleich vier Fliegen mit einer Klappe, nämlich H.P. Lovecraft – Das Werk, Die Berge des Wahnsinns von H.P. Lovecraft und Francois Baranger, The Murders in the Rue Morgue and other stories und Die Abenteuer des Arthur Gordon Pym von Edgar Allan Poe.

Die in einem großen kommentierten und sehr aufwendig gestalteten Prachtband gesammelten Kurzgeschichten von H. P. Lovecraft hatte ich 2017 zum ersten Mal auf der Buchmesse in Frankfurt gesehen und war davon so angetan, dass ich mir diesen Band zu Weihnachten schenken ließ, hatte aber erst 2022/23 die Muße, mich auf eine Werksammlung von etwa 900 Seiten einzulassen. Zwar hatte ich irgendwann einmal davor Die Berge des Wahnsinns gelesen, aber verstanden hatte ich diese Geschichte nicht. Im Zusammenhang mit den anderen Geschichten rund um den Cthulhu-Mythos und das Necronomicon, dazu in der Winter- und Weihnachtszeit, wenn es früh dunkel wird, hat Lovecrafts Universum erst richtig seine Wirkung entfaltet.

Neben den Geschichten sind in dem kommentierten Werk zahlreiche Fußnoten, Fotos, Illustrationen und Kommentare des Herausgebers Leslie S. Klinger zu Figuren, Orten und Inspirationen sowie Details zur Entstehung und zum Leben Lovecrafts enthalten, von denen ich manche eher überflüssig halte, aber andere wieder die Schauplätze und somit die Ereignisse in Neu-England realer werden lassen. Deshalb erwische ich mich dabei zu glauben, dass es tatsächlich Orte wie die Miskatonic University, Arkham und Innsmouth gibt oder in der Antarktis. Anders als bei Stephen King entsteht der Horror weniger durch Ekel oder Gewalt, der aus den Menschen kommt, sondern aus der Hilflosigkeit der Menschen gegenüber übernatürlichen und höherer Mächte, die aus dem All und aus den Tiefen des Meeres kommen, oder anderen unbekannten oder lebensbedrohlichen Orten.

Wie genau der Schrecken aussieht, schildert Lovecraft nicht genau, oft spricht er, ähnlich wie Poe von unaussprechlichen Dingen, denen die Protagonisten ausgesetzt sind und dem heutigen Erzählprinzip des „Show don’t tell“ stark widerspricht. Der Reiz von Lovecraft besteht in einer fast erstickenden Art zu erzählen, insbesondere wenn man in die Umtriebe von Cthulhu, Nyarlathotep und den verderblichen Einflüssen des Necronomicons eintaucht. Je weiter ich las, umso mehr verspürte ich förmlich das Grauen, das aus den umständlichen Beschreibungen heraustropft und konnte nun endlich den Reiz des Lovecraft-Universums rund um den Cthulhumythos verstehen und nachvollziehen. Dieses ist bei weitem nicht vollständig ausgearbeitet, wie etwa das von Tolkien, aber gerade die Dinge, die man nicht man weiß, die im Dunkeln bleiben, tragen zu der Atmosphäre des Okkulten und Unaussprechlichen bei. Meine Lieblingsgeschichte ist Die Berge des Wahnsinns, in der ein Forscherteam der Miskatonic Universität in der Antarktis auf die Relikte einer untergegangenen Zivilisation stößt, die alles andere als menschlich ist. Dort nimmt Lovecraft direkt Bezug auf Poes einzigen Roman Die Abenteuer des Arthur Gordon Pym, der den Protagonisten ebenfalls in die Antarktis führt. Ebenso erscheint dort der Ausruf „Tekeli-Li“ aus Poes Roman. Unklar ist, ob Lovecraft Die Berge des Wahnsinns als Fortsetzung gesehen hat, aber wiederum zur Mythenbildung um sein Werk beiträgt.

Poes Einfluss ist unübersehbar, wenngleich er auch hochspannende Detektivgeschichten geschrieben haben und einige Erzählungen durchaus humoristische oder satirische, manchmal auch romantische Einschläge haben. Das ist bei Lovecraft etwas seltener zu finden, oder ich habe es nicht herausgelesen, doch ich fand gerade die Begegnung von Dyer und Danforth mit den Albinopinguinen so unglaublich herzig. Dabei habe ich mir eigentlich mehr Sorgen um die Pinguine gemacht als um die beiden Männer, was vielleicht der größere Schrecken war. Wohl aus diesem Grund habe ich mich von einer illustrierten Ausgabe von Die Berge des Wahnsinns ablenken lassen, die mich in der Bibliothek anlachte, als ich konzentriert an diesem Blogpost schreiben wollte. Leider war es nur der erste Teil, denn ich hatte mich schon auf eine Darstellung der 1,80m großen Albinopinguine gefreut und hoffe sehr, dass sie im zweiten Teil erscheinen. Dennoch sind die Illustrationen von Francois Baranger unglaublich schön, sie bilden den Hintergrund des Erzähltextes, was ich angenehmer als bei einer Graphic Novel finde. Sie bringen die Dimensionen der Antarktis und der untergangenen Stadt der Alten Wesen erst richtig zur Geltung, anstatt in Panels und Sprechblasen zerfledddert zu werden.

Die Abenteuer des Arthur Gordon Pym ist der einzige Roman Poes, in dem der titelgebende Protagonist sich als blinder Passagier auf einem Walfänger auf eine abenteuerliche Reise begibt und schließlich nach Meuterei und Schiffbruch in der Antarktis landet, die zur Zeit Poes noch unerforscht war. Daher sieht der siebte Kontinent noch völlig anders als zur Zeit der Antarktis-Expedition fast hundert Jahre später aus, doch Lovecraft führt die Prämisse fort, dass dieser Ort die Heimat einer fremden Zivilisation war.Obwohl Poe im Grunde nichts mit Pinguinen zu tun hat, so werden am Anfang des Romans der Protagonist und sein bester Freund bei einer Spritztour von der Besatzung eines Walfangschiffes namensPinguin gerettet und mitten auf meiner Ausgabe des Sammelbandes seiner Erzählungen inmitten von Rasiermessern das Logo des Verlages prangt ein kleiner Pinguin. Und die illustrierte Erzählung von Die Berge des Wahnsinns wurde vom Heyne Verlag heraus-gegeben, der zur Penguin Random House Verlagsgruppe gehört. Ist das noch Zufall oder ein großer kosmischer Plan sinistrer Entitäten? Falls Pinguine zukünftig unsere Overlords sein werden, ich freue mich darauf!